erfahrungsbericht_calbrodt

Persönlicher ERASMUS-Bericht

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Erfahrungen von Christopher Albrodt

Gasthochschule: Bilgi Üniversitesi Istanbul
Zeitraum: 09/2012 bis 01/2013

Vorbereitung und bürokratische Ärgernisse

Mein Fachbereich hat Kooperationen mit zwei verschiedenen Universitäten in Istanbul: der Bahçeşehir Üniversitesi und der Bilgi Üniversitesi. Ich hatte mich auf einen Platz an der Bilgi beworben, das Bewerbungsverfahren dort war vergleichsweise unkompliziert (wie ich gehört habe, war es an der Bahçeşehir umständlicher): Ich wurde per Email informiert, dass ich mich im Internet anmelden, ein Formular ausfüllen und ein paar Kurse auswählen müsse. Das Internetformular musste ich dann zusätzlich noch ausdrucken und zusammen mit ein paar Passbildern per Post an die Universität in Istanbul schicken. Die Kurse, die ich in diesem Schritt gewählt habe, waren übrigens grundsätzlich verschieden von denen, die ich später tatsächlich belegt habe. Ich weiß nicht, ob überhaupt irgendwer diese Liste noch einmal zu Gesicht bekommen hat.

Ein Visum für die Türkei zu beantragen war dagegen schon etwas komplizierter. Die Türkei liegt nicht innerhalb der EU, deshalb braucht man als Student für einen längeren Aufenthalt ein Studentenvisum. Vorsicht: Viele Studenten, die früher schon ein Auslandssemester in der Türkei gemacht haben, hatten mir vorher den Tipp gegeben, doch ein einfaches Touristenvisum zu beantragen, welches – glaube ich – drei Monate gültig ist und nichts kostet. Vor Ablauf dieser drei Monate solle ich dann einfach für einen Nachmittag die Türkei verlassen und dann erneut einreisen. Das funktioniert nicht mehr! Die Gesetzgebung in der Türkei hat sich verändert und damit ist dieser Weg ausgeschlossen. Man braucht definitiv ein Studentenvisum, auch wenn einige Leute noch etwas anderes behaupten sollten. Für dieses Visum braucht man ein paar Dinge:

  • einen Reisepass
  • ein Passfoto
  • ein polizeiliches Führungszeugnis (kann man beim Bürgeramt beantragen, kostet, glaube ich, u die 13 Euro
  • das Formular T11 der eigenen Krankenkasse
  • eine schriftliche Bestätigung der Eltern, dass sie einen mit mindestens 800 Euro monatlich unterstützen (natürlich müssen sie das nicht wirklich tun, die Bürokratie fordert jedoch diese Schriftstück)
  • Kopien der Ausweise der Eltern
  • Erasmus-Bestätigung der Heimatuni
  • Letter of Acceptance der Partneruni
  • 60 Euro

Um all das sollte man sich rechtzeitig kümmern, denn das Visum braucht auch noch ein bisschen, bis es dann fertig ist. So um die zwei Wochen, wenn ich mich richtig erinnere. Damit ist es dann übrigens noch nicht getan. In der Türkei selbst muss man noch ein Residence Permit beantragen. Die nette Frau im türkischen Konsulat in Berlin hatte mir noch versichert, wenn ich meine Studienbescheinigung dort vorlegen würde, wäre das kostenlos. Das ist nicht der Fall, es kostet noch einmal irgendwas um die 60 Euro. Dieses Residence Permit brachte alle Erasmus-Studenten Istanbuls an den Rand der Verzweiflung. Um es zu bekommen, muss man nämlich innerhalb der ersten zwei Monate seines Aufenthalts einen Termin bei der örtlichen Polizeistation machen. Das erledigt man über eine Internetseite, die zwar so aussieht, als sei sie von einem 14jährigen Ende der 90er programmiert worden, tatsächlich aber die offizielle Homepage der Polizeibehörde ist.

Leider waren innerhalb kürzester Zeit alle Termine auf mehrere Monate hin ausgebucht, so dass manche unglückseligen Studenten tatsächlich einen Termin für die Beantragung eines Residence Permit erhielten, der Wochen nach Ende des Semesters lag. Zu einem Zeitpunkt, zu dem sie also eigentlich schon lange wieder in ihrer Heimat sein wollten. Glücklicherweise haben letztendlich jedoch die Istanbuler Universitäten die Initiative ergriffen und einen Sammeltermin für alle Studenten organisiert. Das war im Dezember. Bevor man ein Residence Permit hat, darf man nicht ausreisen, denn dann hätte man sich illegal im Land aufgehalten und müsste mit einer saftigen Strafe rechnen.

Und noch eine Tücke hält die türkische Bürokratie bereit: Ausländische Handys mit türkischer SIM-Karte werden nach wenigen Wochen gesperrt, sofern man das Handy nicht für umgerechnet ca 45 Euro beim Finanzamt registrieren lässt. Wahlweise kann man natürlich auch für weniger Geld ein türkisches Handy kaufen.



Das Leben in Istanbul

Sind all diese anfänglichen Stolpersteine erst einmal überwunden, lebt es sich in Istanbul jedoch sehr gut. Man kann sich dafür entscheiden, im Wohnheim der Uni zu hausen, ich kenne jedoch niemanden, der das tatsächlich gemacht hat. Eine Wohnung findet man am besten über die Internetplattform Craigslist. Ich bin so die ersten Tage bei Bekannten eines türkischen Freundes untergekommen, bevor ich mir schließlich gemeinsam mit einem Freund aus Potsdam eine 2-Zimmer-Wohnung im zentralen Stadtteil Cihangir gemietet habe. Unser Vermieter war sehr freundlich, lud uns oft in seinen kleinen Antiquitätenladen zum Teetrinken ein und auch die anfangs zu entrichtende Kaution bekamen wir am Ende unseres Aufenthalts ohne Probleme zurück. Die Wohnung war etwas heruntergekommen, schlecht isoliert und ohne Zentralheizung (was in Istanbul allerdings normal ist), so dass es im Winter schon manches Mal sehr kalt werden konnte. Außerdem brach alle zwei Wochen für mehrere Stunden die Wasserversorgung zusammen. Trotzdem konnte man sich in unserer Wohnung sehr wohl fühlen. Die Nachbarn waren sehr freundlich (Fremden gegenüber scheint man in der Türkei ohnehin wesentlich aufgeschlossener zu sein als das in Deutschland der Fall ist), es gab viele kleine Einkaufsläden in direkter Nähe und in weniger als 10 Minuten konnte man am Bosporus, dem Taksim-Platz oder der Istiklal (der größten Einkaufsstraße Istanbuls) sein.

Man sollte sich seinen Wohnort gut aussuchen, denn Istanbul ist riesig, der Nahverkehr eher mau und so kann es schon mal leicht ein Stündchen dauern, bis man an seinem Zielort ankommt. Wohnt man auf der asiatischen Seite, kann man den Luxus einer täglichen Fährfahrt über den Bosporus genießen, nachts braucht man dafür Ewigkeiten, um vom Stadtzentrum nach Hause zu kommen.

Leider gibt es innerhalb der Stadt wenig Grünflächen, überhaupt ist alles sehr eng und dicht bebaut, was mich zumindest auf Dauer etwas angestrengt hat. So ist es ratsam, bei Gelegenheit auch mal die Stadt zu verlassen, vielleicht auch für ein paar Tage das Landesinnere der Türkei zu erkunden. Dafür nimmt man am besten einen der vielen Reisebusse, die tatsächlich extrem günstig sind.

Der Winter in Istanbul ist ebenso rau wie der deutsche. Ja, es fällt sogar Schnee. Sobald die ersten Flocken vom Himmel nieseln, bricht in der Stadt allerdings schnell die blanke Panik aus und das Verkehrssystem kommt an den Rand des Erliegens. Nachdem die ersten 5cm Schnee Mitte Dezember gefallen waren, wurde so auch prompt die Uni für die nächsten zwei Tage geschlossen.

Man sollte sich nicht unbedingt darauf verlassen, dass jeder in der Türkei englisch versteht. Minimale Sprachkenntnisse sollte man sich also schon vorab angeeignet haben, und wenn es sich auf „Danke“, „Bitte“, „Was kostet das?“ und „Wo ist …?“ beschränkt. Damit kommt man auch schon ein Stück weit.

Die Lebenshaltungskosten in Istanbul unterscheiden sich nicht großartig von denen in Deutschland. Gemüse ist sehr viel günstiger, dafür sind Fleisch und Alkohol unheimlich teuer.



Die Universität

Ich war von der Bilgi Üniversitesi sehr begeistert. Sie hat drei verschiedene Campus: Kuştepe, Dolapdere und Santral, an letztgenanntem war mein Department untergebracht. Von mehreren zentralen Verkehrspunkten aus fahren mehrmals stündlich Shuttlebusse – ein Luxus, den die Bahçeşehir Üniversitesi beispielsweise nicht hat. Es gab viele Kurse, die auch für Erasmus-Studenten angeboten wurden, somit also auf Englisch stattfanden. Die Erasmus-Koordinatoren waren sehr engagiert und hilfsbereit, besonders in der Anfangsphase veranstalteten sie mehrere Parties (denen man ohne schlechtes Gewissen aber auch mal fern bleiben kann). Gefühlte 80 Prozent aller Erasmus-Studenten in Istanbul waren Deutsche, man muss also schon etwas persönlichen Ehrgeiz aufbringen, um seine Freizeit nicht in ausschließlich deutscher Gesellschaft zu verbringen. Jedoch kann ich sagen, dass die türkischen Studenten zum Großteil sehr interessiert und aufgeschlossen uns Ausländern gegenüber waren.

Die Bilgi Üniversitesi ist eine private Hochschule, das hat seine Vor- aber auch seine Nachteile. Einerseits ist die technische Ausstattung hervorragend, die Gebäude allesamt sehr modern und schick. Andererseits ist das Essen in der Mensa unverschämt teuer und statt eines gemütlichen Cafés steht zwischen den Lehrgebäuden ein Starbucks. Und wem der Anblick von Macbooks, iPhones und Polohemden zuwider ist, sollte beim Schlendern über das riesige Campusgelände ganz fest die Augen zukneifen.

Abschließend bleibt zu sagen, dass ich ein Erasmus-Studium in Istanbul auf jeden Fall weiterempfehlen würde. In manchen Bereichen muss man sich halt darauf einstellen, dass nicht jeder Lebensaspekt dem Standard entspricht, den man aus Deutschland gewohnt sein mag, aber das macht natürlich auch einen Teil des Reizes aus. Die türkische Kultur ist auf jeden Fall so reich, vielfältig und interessant und in vielerlei Hinsicht auch gemütlich, dass ein halbes Jahr in dieser Umgebung definitiv eine persönliche Bereicherung darstellt.

Christopher war in Istanbul und hat sich seinen Blog mit Luis geteilt. Wollt ihr noch mehr wissen? Dann schaut mal hier:

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