erfahrungsbericht_j.h.

Persönlicher ERASMUS-Bericht

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Erfahrungen von J.H.

Gasthochschule: Bahçeşehir University Istanbul
Zeitraum: 09/2013 bis 01/2014

Die Türkei gehört nicht zur EU. Dennoch wird im Rahmen der Beitrittsverhandlungen schon seit einigen Jahren ein reges Austauschprogramm mit zahlreichen europäischen Universitäten betrieben. Die türkischen Universitäten sind, soweit ich das gehört habe, sehr bemüht, diese Beziehungen aufrecht zu erhalten. Die Kontaktaufnahme zur Bahçeşehir Universität erfolgte uber unseren Erasmuskoordinator. Das gesamte Bewerbungsverfahren gestaltete sich auch erst problemlos. Die Kommunikation mit der Bahçeşehir Universität verlief sehr schnell und freundlich per Mail.

Für die Bewerbung ist ein Transcript of Records notwendig, also ein Zeugnis in englischer Sprache über die bisher im Studium in der Heimat erbrachten Leistungen. Weiterhin braucht man, wie bei allen offiziellen Vorgangen in der Türkei, zahlreiche Passfotos.
Da es in diesem Jahr weniger Bewerber als sonst gab, war auch die Platzvergabe schnell und schmerzlos im Vergleich mit dem Prozedere, das ich von anderen Studenten in anderen Ländern gehört habe. lch vermute das geringe Interesse begründet sich in der sehr angespannten politischen Lage in der Türkei. Die, in unseren Medien ausführlich beschriebene Situation scheint sich von Tag zu Tag zu verschlechtern. Dennoch habe ich abgesehen von enormer Polizeipräsenz und gelegentlichen friedlichen Demonstrationen während meines Aufenthaltes keine gefährlichen Situation erlebt. Die Berichte türkischer Kommilitonen über die Zeit der Proteste um den Gezi-Park waren allerdings häufig verstörend und haben mich sehr vorsichtig werden lassen.

Das Studiensystem an der Bahçeşehir Universitat orientiert sich am Vorbild amerikanischer Universitäten. Insgesamt kann man sich als Student des Bachelor-Systems sehr gut einfinden. Eine ebenfalls deutsche Kommilitonin hat sich über den sehr verschulten Universitätsbetrieb mit Unterricht in schulklassenähnlichen Verhältnissen beschwert. Für mich ist dies nichts Ungewöhnliches, da ich in Potsdam selbst in einem sehr kleinen Studiengang studiere. Es gibt allerdings häufiger Hausaufgaben, die kleinere Leistungen unter der Woche verlangen und nicht mit dem Format unserer Hausarbeiten zu vergleichen sind (welche es allerdings auch gibt). In der Regel werden pro Semester zwei Klausuren geschrieben, also ein Midterm zur Hälfte und ein Final gegen Ende des Semesters. Während der Klausurenzeit ist der normale Universitätsbetrieb ausgesetzt. Die Universität hat den Anspruch, ein besonders internationales Studienumfeld zu bieten. Sie betreibt zahlreiche Austauschprogramme mit anderen Universitäten quer über den Globus und unterhält selbst eigene Dependancen in verschiedenen Ländern, um den eigenen Studierenden möglichst reibungslose Auslandserfahrungen innerhalb der eigenen Universität ermöglichen zu können.


© J.H.

Die Unterrichtssprache ist in der Regel Englisch, was Ieider für einige der türkischen Kommilitonen noch ein größeres Hindernis darzustellen scheint, sodass sie im Geschehen bisweilen etwas außen vor sind. Die Betreuung an der Uni ist sehr gut. Die Verwaltung arbeitet schnell und zuvorkommend und meist findet sich bei Problemen schnell ein Ansprechpartner, der einem weiterhelfen kann. Die meisten Dozenten waren sehr motiviert und haben so ein gutes und produktives Studienklima geschaffen. Die Bahçeşehir Universität ist technisch auf einem sehr hohen Stand. Alle Seminarräume sind mit Touchscreen-Tafeln ausgestattet, es gibt verschiedene Computerräume (Mac und PC) und für sämtliche Fachbereiche spezialisierte Geräte.

Durch das gut organisierte Buddies-Programm, bei dem alle Austauschstudenten von einheimischen Studenten betreut werden, ist ein schneller Anschluss sowohl zu türkischen Studenten als auch zu anderen Studenten aller Herren Lander möglich. Die Erasmus/Internationale-Studentengemeinschaft ist sehr aktiv und in der Regel kann man jeden Tag etwas unternehmen. Es wird nie langweilig. Auch das Istanbuler Nachtleben hat viel zu bieten, was von vielen Studenten dankend angenommen wird.

Vor meinem Auslandsaufenthalt habe ich mich über etwa drei Monate mit einem Tandempartner ausgetauscht. So war es mir möglich einige grundlegende Floskeln zur Bewältigung des Alltags zu lernen. Da die türkische Sprache jedoch hoch komplex ist und weder der unseren noch den romanischen Sprachen ähnlich, ist es ein ambitioniertes Unterfangen sie zu lernen.

Für mich stand das Studium im Ausland und der generelle kulturelle Austausch im Vordergrund, sodass mir, abgesehen von einem einwöchigen Crashkurs vor Ort, wenig Möglichkeit blieb, die Sprache angemessen zu lernen. An einem weiteren Kurs, der das Semester umfassen sollte, habe ich mich versucht. Leider war die Lehrmethode des Sprachlehrers, dessen Unterrichtsmethode im Vor- und Nachsprechen fertiger Phrasen ohne weitere Erklärung bestand, nicht sehr förderlich, sodass ich diesen Kurs nach wenigen Stunden abbrach.


© J.H.

lch habe mir keine Unterkunft von zu Hause aus gesucht. Erfahrungsgemäß ist es einigermaßen riskant ein Zimmer ungesehen über das Internet anzumieten. Mir war es außerdem wichtig, ein Gefühl für die Stadt und die alltäglichen Wege zu bekommen, bevor ich mich für eine Wohngegend entscheiden wollte. Zum Glück hilft die Bahçeşehir Universität auch hier den Austauschstudenten, indem sie Übernachtungsmöglichkeiten bei türkischen Studenten organisiert und so auch erste engere Kontakte zu Einheimischen herstellt. Ich bin gemeinsam mit einem Potsdamer Studienkollegen in einer Wohngemeinschaft von drei Studenten untergekommen. Sie haben uns einen sehr herzlichen Empfang bereitet und uns immer wieder mit der türkischen Gastfreundschaft überrascht. Aus höflichen Gastgebern und Gästen wurden Freunde und wir haben die gesamte Zeit des Aufenthaltes über in Kontakt gestanden. Einer der Höhepunkte direkt zum Anfang meiner Zeit in Istanbul war ein gemeinsam besuchtes Championsleague-Spiel zwischen Real Madrid und Galatasaray Istanbul, das wir im Ultrablock des Stadions erlebten.

Nach zirka zweiwöchiger Wohnungssuche haben mein deutscher Kommilitone und ich eine Wohnung gefunden. Es empfiehlt sich, die Wohnungssuche mit Orts-und Sprachkundigen zu unternehmen, viele Angebote sind nicht sehr seriös und beschriebene Objekte entpuppen sich bei der näheren Inaugenscheinnahme als unbewohnbar. Eine Wohnung etwa bestand zur Hälfte aus einem nicht-wasserdichten Wellblechaufbau auf einer ehemaligen Dachterrasse. Eine andere war voller Sperrmüll und, wie sich nach der genaueren Verfolgung der unguten Gerüche herausstellte, auch Exkremente.

Unsere Wohnung erschien uns schließlich eine moderne und saubere Oase, auch wenn sie nur über eine improvisierte Küche verfügte und auch ansonsten recht klein und dafür aber auch nicht zu preiswert war. Dafür war sie verkehrstechnisch sehr gut mit der Straßenbahn angebunden und in unmittelbarer Nähe zum Campus, der nur etwa fünf Minuten Fußweg entfernt lag. Ein unschlagbarer Vorteil in der 15-Millionen-Stadt, in der selbst kürzeste Strecken mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Geduldsprobe werden können. Das Verkehrsaufkommen ist enorm hoch und zu den Stoßzeiten ist man bei kleineren Distanzen bis etwa fünf Kilometer zu Fuß schneller.
Geld habe ich bei der TEB, einer Partnerbank der Deutschen Bank problemlos und gebührenfrei mit der EC-Karte abheben können.
Es ist ratsam und auch von Seiten der türkischen Visumspolitik zwingend notwendig eine Auslandskrankenversicherung abzuschließen. Ich habe glücklicherweise von ihr keinen Gebrauch machen müssen und kann insofern keine Angaben zum türkischen Gesundheitssystem oder der damit verbundenen Bürokratie machen.

Die Lebenshaltungskosten in Istanbul sind zwar deutlich höher als in der restlichen Türkei, im Vergleich mit Deutschland sind sie dennoch recht niedrig, vor allem für Lebensmittel. Die Mieten variieren stark in der Stadt. Die europäische Seite ist deutlich teurer als die asiatische, dafür hat man aber auch nicht den Stress, täglich den Bosporus mit der Fähre zu überqueren, um zur Universität zu gelangen. Im Vergleich mit meiner Heimatstadt Berlin sind die Mieten noch recht erträglich, wobei die Landsleute das anders sehen. Diskurse über Verdrängung und Gentrifizierung stehen auch in Istanbul auf der Tagesordnung.

Die Bahçeşehir Universität bietet zahlreiche Freizeitaktivitäten an. Diese sind, wieder dem amerikanischen Vorbild folgend, in Klubs organisiert. Zahlreiche Sportarten können betrieben werden, aber auch jede andere Art von Hobby - von Kochen, über Computerprogrammierung bis zu musischer Betätigung ist Vieles möglich. Zum Thema Sport sei gesagt, dass es in Istanbul aufgrund der Fülle der Stadt tatsächlich quasi unmöglich ist zu joggen und Fitnessstudios immer eine Art Luxus-Wellness-Tempel sind, die deutlich über dem aus Deutschland bekannten Preisniveau liegen.


© J.H.

Ich persönlich bin restlos begeistert von meinem Auslandsaufenthalt in der Türkei. Es gibt viel zu erleben und zu entdecken. Es lohnt sich, sich bisweilen treiben zu lassen und von dem schier unglaublichen kulturellen Reichtum der Stadt beeindrucken zu lassen. Ich kann, so langweilig es klingen mag, kaum von negativen Eindrucken sprechen. Die Meldung bei der Polizei vor Ort ist etwas nervenraubend und erscheint einem aufgrund der etwas unlogisch anmutenden Vorgänge in der hochbewachten Ausländerbehörde wie Schikane, vor allem, wenn man insgesamt viermal dort erscheinen darf, um schließiich seine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen.
Positiv erwähnt sei noch die unglaublich reichhaltige, türkische Küche. Es besteht quasi immer und überall die Möglichkeit, preiswert etwas zu essen.

Die Türkei ist wirtschaftlich ein aufstrebendes Land. Istanbul ist eine hochdynamische Stadt. Die Universität war erstaunlich gut organisiert und ausgestattet und stets in der Lage, mich zum Studieren zu motivieren. Die aktuelle politische Lage in der Türkei ist dennoch mehr als besorgniserregend. Man sollte generell mit Vorsicht und Umsicht unterwegs sein und sich nicht auf Konflikte mit irgendwelchen Autoritäten einlassen. Für Frauen ist es außerdem leider immer noch ratsam nach Einbruch der Dunkelheit in manchen Gegenden am besten nur in männlicher Begleitung unterwegs zu sein.

Neben dem kulturellen und kulinarischen Reichtum Istanbuls hat J. auch politische Unsicherheiten innerhalb der Stadt bemerkt. Wollt ihr noch mehr wissen? Dann schaut mal hier:

FAQs Istanbul